6. Januar 2017
Lieber Kellerkönigin als Weinprinzessin
FAZ berichtet über Caroline Bergdolt
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet über die (angeblichen) Probleme von Caroline Bergdolt, in einer Männerdomäne Fuß zu fassen und den (ebenso angeblichen) Äußerungen ihrer Mitbürger nach der Geburt ihres ersten Kindes:
Was ist das Beste, das aus einer Winzerstochter werden kann? Eine Weinprinzessin. Und was ist der sehnlichste Wunsch jedes Weinbauern, dem das Schicksal die schwerste aller Prüfungen auferlegt hat, nämlich weiblichen Nachwuchs? Dass das Töchterlein einen tüchtigen Winzerburschen heiraten möge, der die Familientradition mit starker Hand fortführt. Bevor jetzt ein Aufschrei feministischer Empörung anhebt, möchten wir feststellen, dass wir hier nicht unsere Meinung wiedergeben, sondern Denken und Haltung eines beträchtlichen Teils der Pfälzer Qualitätswinzerschaft. Sie trägt noch immer Züge einer Männerbündlerloge, schlägt der Emanzipation entschlossen die Fasskellertür vor der Nase zu und hält weibliche Nachkommenschaft für eine Art genealogische Reblaus.
Niemand weiß das besser als Carolin Bergdolt aus Duttweiler bei Neustadt an der Weinstraße, die sich noch lebhaft an die ebenso gutgemeinten wie vergifteten Glückwünsche bei der Geburt ihres Sohnes vor vier Jahren erinnert: Ein Junge, wie schön, keine Tochter, sagten die Leute im Dorf und gaben ihr zu verstehen, dass sie mehr Glück gehabt habe als ihr eigener Vater.
Nur drei der 25 VdP-Weingüter in der Pfalz werden von Frauen geführt, von den unerschrockenen Einzelkämpferinnen Barbara Acham-Magin, Sabine Mosbacher und Bettina Bürklin-von Guradze. Ende 2017 wird ein viertes hinzukommen, weil dann Rainer Bergdolt die alleinige Leitung des Familiengutes in die Hände seiner Tochter legen wird. Es ist das glückliche Ende eines steinigen Weges auf dem Pfad des Pfälzer Machismo, an dessen Beginn Carolin Bergdolt nichts mit der Rebwirtschaft zu tun haben wollte. Sie floh vor der dörflichen Enge erst nach Australien, dann nach Berlin, half dort in einer Weinhandlung aus und begriff schnell, dass es doch aufregender ist, Wein zu machen, als Wein zu verkaufen. Also ging sie nach Geisenheim, studierte Önologie und kehrte 2007 nach Hause zurück, um den Betrieb gemeinsam mit ihrem ganz und gar nicht frauenfeindlichen Vater zu führen – als vermutlich erste Frau in der achthundertjährigen Geschichte des Gutes.
„Iacob Bergtholt und Susana 1754“: So steht es, in Stein gemeißelt, über dem Torbogen des Winzerhofes in Duttweiler. In jenem Jahr kaufte die erste von mittlerweile neun Bergdolt-Generationen das benediktinische Klostergut St.Lamprecht, in dem seit dem dreizehnten Jahrhundert Wein gekeltert worden war. Hinter dieser Pforte beginnt eine Welt, in der jeder Stein mit Geschichte getränkt und mancher Holzbalken älter als die Entdeckung Amerikas ist, in der St. Lamprecht als buntbemalte Holzfigur über die Seinen wacht und Amphoren aus dem antiken Griechenland daran erinnern, dass der Weinbau noch viel älter ist als die Dynastie Bergdolt. Doch das Gut will weder der Gralshüter seiner eigenen Vergangenheit noch der Beschwörer traditionstrunkener Ewiggestrigkeit sein. Dafür sorgt – allein schon äußerlich – Carolin Bergdolts Lebensgefährte Magnus Mewes, der als Designer seine Werkstatt auf dem Gelände hat und am liebsten mit dem Holz alter Barriques arbeitet. Von ihm stammen die Stühle im Degustationsraum, für die er sich die Wölbung der Fassdauben zunutze macht, weil sie ergonomisch ideal für den menschlichen Rücken ist.
Dafür, dass auch im Glas die Zeit voranschreitet, sorgt Carolin Bergdolt. Sie hat das Gut konsequent auf biologischen Weinbau umgestellt, vertraut stärker als ihr Vater auf die Spontanvergärung; um die Natürlichkeit der Weine zu bewahren, baut sie inzwischen immer öfter im Barrique aus, leistet sich neben den dominanten Sorten Riesling und Burgunder auch Spielereien wie Goldmuskateller oder Auxerrois und gibt sich hemmungslos ihrer größten Leidenschaft als Kellermeisterin hin: dem Schaumwein. Fünf Winzersekte, meist auf Burgunderbasis, baut sie inzwischen aus, lässt sie auf dem Gut von einem elsässischen Spezialisten mit mobilem Maschinenpark versekten und bleibt dabei immer ihrem Stil treu. Schlank wie eine Primaballerina, trocken wie die Wüstenluft, schnörkellos wie dorische Säulen sind diese Schaumweine, die meist keine drei Gramm Restzucker haben, oft sogar auf eine Dosage verzichten und manchmal fünf Jahre lang auf der Hefe liegen, so lange wie die großen Champagner – um dann, man traut es sich kaum zu sagen, 17,50 Euro die Flasche zu kosten.
Frauenweine, sollte es so etwas überhaupt geben, sind das aber nicht. Für Harmonie und Balance ist ohnehin eher Carolins Vater zuständig, während sie Ecken und Kanten in der Flasche schätzt. Ihren Weißburgundern, die mit noch weniger Restzucker auskommen als die Sekte, lässt sie alle Eigenbrötlereien und zwingt sie nicht ins Korsett gefälliger Konsensfähigkeit. Die Ortsweine werden antiautoritär im Edelstahltank erzogen, dürfen nach Kräutern und Pfeffer schmecken und den Gaumen mit einer fast schon vorlauten Würzigkeit kitzeln. Die Großen Gewächse vom Kirrweiler Mandelberg baden wie einst Susanna in den Aromen von Nüssen und reifen gelben Früchten, ohne sich dabei mit der opulenten Penetranz einer Diva wichtigzumachen. Auch die Rieslinge, etwa das Große Gewächs vom Ruppertsberger Reiterpfad, sind filigrane, hocharistokratische Gewächse mit einer zarten Säure und wie hingehauchten Pfirsich- und Apfelnoten und nur ganz selten die barocken Burschen mit breitschultriger Lebenslust, für die die Pfalz so berühmt ist. 
Carolin Bergdolts Sohn wird allerdings sehr wahrscheinlich ein solcher Pfälzer Bub werden, so vergnügt, wie er mit seinem elektrogetriebenen Spielzeugtraktor schon jetzt durchs Weingut saust. Ihm gebührt die Primogenitur. Sollte er indes andere Pläne haben, spricht vieles dafür, dass sich die weibliche Erbfolge im Hause Bergdolt auch in der zehnten Generation fortsetzt. Denn Carolins einjährige Tochter, die pünktlich zum Ende der Degustation aus ihrem Tiefschlaf erwacht, verschmäht jede Art von Schnuller und schnappt sich stattdessen lieber gleich einen Weinkorken. 
Pressespiegel
Geschmackssache Lieber Kellerkönigin als Weinprinzessin Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.01.2017